Texte

Heimliche Übernahme
Intervention im öffentlichen Raum

Mit der Arbeit „Heimliche Übernahme“ setzt Inka Nowoitnick ihre Auseinandersetzung mit zeitgenössischer Alltagskultur fort und stößt dabei direkt an den Ort vor, an dem die Insignien zeitgenössischer Populärkultur entstehen und sich beweisen müssen: im öffentlichen Raum. Einkaufszentren, Bahnhöfe, Schalterhallen der Banken und Postämter, Bibliotheken, Veranstaltungsorte, Kunden- und Mitarbeiterbereiche großer Firmen sind der Schauplatz an dem sich alltäglich Öffentlichkeit formiert – reglementiert durch die den Orten eingeschriebenen Verhaltenskodizes. Mit der zunehmenden Privatisierung des öffentlichen Raums werden die Bürger Kunden.

„Heimliche Übernahme“ schleicht sich in diesen Raum ein, indem sie sich ihm anpasst: als Automat, gemacht um Kundenwünsche nach dem Self Service-Prinzip diskret zu befriedigen. Den elektrischen Opferlichtständern aus Kirchen nachempfunden, greift der Kerzenautomat auf gebräuchlichen Ritus zurück, mit einer Lichtspende Wünschen und Gedenken Nach- und Ausdruck zu verleihen.
„Heimliche Übernahme“ ist eine Wunschmaschine. Im Rückgriff auf eine konventionelle Form schafft Inka Nowoitnick einen imaginären Ort – eine Utopie, insofern sich Wünsche und Gedenken immer auf ein Jenseits der tatsächlichen Realität richten und von großen und kleinen Sehnsüchten erzählen.

Als Automat den Brandschutzverordnungen angepasst, qualifiziert sich der Apparat auch durch niedrige Betriebskosten für Betreiber des kommerzialisierten öffentlichen Raums: ein zusätzliches sinnstiftendes Angebot zur Befriedigung latenter Bedürfnisse nach einer „neuen Spiritualität“ im Alltag oder als Gag für den „aufgeklärten“ Konsumenten. Doch trotz der anything goes – Attitüde des modernen (Groß-) Städters werden die Passanten von dem kleinen Lichtaltar überrascht. Eine freundliche Aufforderung
und Einladung zur freien Nutzung findet sich als Gebrauchsanweisung am Automaten.

Nun kann man sich fragen, wie weit Inka Nowoitnicks künstlerische Intervention in den öffentlichen Raum in gefälliger Mimikry aufgeht – als bloße Parodie der Kulturindustrie auftritt und als ironische Maschine der Konsumgesellschaft den Spiegel vorhält. Oder, in einer weniger kulturpessimistischen Deutung, die Nutzung des populären Automaten subversiv einsetzt, indem sie einen Raum jenseits und diesseits der Warenwelt und so neue Spielräume der Konsumenten eröffnet.
Oder in Zeiten massenhafter religiöser Rückbesinnung und esoterischer Neuorientierung eine konsumentenfreundliche „Andacht to go“ serviert. Vielleicht auch als ironischer Kommentar zum Mythos des Künstlers als Heilsbringer? Neben diesen geläufigen kunsttheoretischen Einordnungsversuchen erbringt die künstlerische Praxis spannende Ergebnisse.

Inka Nowoitnick wagt sich in umkämpftes Terrain und setzt den Status des Kunstwerks aufs Spiel. Genau in diesem radikal spielerischen Moment der Rücknahme der eigenen Definitionsmacht und Handhabungsgewalt markiert sie eine deutlich zeitgenössische Haltung zu künstlerischen Interventionen im öffentlichen Raum. Inka Nowoitnick reklamiert keinen Platz im gesicherten Kunstkontext, sie setzt sich den Realitäten von Öffentlichkeit aus. Anstelle Störfaktoren oder Provokationen zu errichten und damit neue Mahnmale zu schaffen, nutzt sie die Mythen des Alltags, manipuliert, setzt einen Impuls, klinkt sich augenzwinkernd in den Streit um die „Definitionsmacht“ ein. Sie eröffnet ein Aktionsfeld zur Aneignung durch die BetrachterInnen für z.T. widersprüchliche Um- und Neudefinitionen. Gerade darin liegt die viel beschworene Interaktivität, die im Fall von „Heimliche Übernahme“ eben nicht beim Knöpfchendrücken aufhört.

Dieses Heft ist demnach integraler Bestandteil der „Heimlichen Übernahme“ als künstlerischer Taktik – und dokumentiert eine Vielfalt des Umgangs mit der Wunschmaschine, die u.a. zum Spielautomat, Andachtsort und Opferaltar wurde. Aus dem Selfservice Automaten entwickelte sich zeitweilig eine kleine Tauschbörse der Opfergaben. Absichtsvoll oder gegen den Willen der Spender entstand eine recht handfeste Art des Dialogs mit einem unbekannten Gegenüber. Die Vielzahl der Perspektiven, die durch Nutzung, Wahrnehmung und Positionierung des Automaten sichtbar wurden oder nur in den Köpfen der BetrachterInnen entstanden, bilden den lebendigen Prozess der Sinn–Gebung als „Heimliche Übernahmen“ im Alltag.

Ursula Schöndeling aus: Heimliche Übernahme in Braunschweig; Verlag des Kunstvereins Langenhagen 2010, ISBN 978-3-98112905-2-3

Lonesome Cowboy
Zum Werk von Inka Nowoitnick

Das Werk der Künstlerin setzt sich aus ganz unterschiedlichen Medien zusammen: Text und Theorie, Objekt und Installation, Aneignung und Aktion, Fotografie und Malerei spielen in ihm gleichermaßen eine Rolle. Sie erscheinen nie allein auf sich selbst bezogen, sondern stets als Elemente einer größeren Kunstkonzeption. Mit ihr will Inka Nowoitnick in unser Leben eingreifen. Der Elfenbeinturm ist kein Aufenthaltsort für sie. Sie drängt mit ihrer Kunst in den Alltag. Der ist der Ausgangspunkt ihrer artistischen Interventionen.

In den Arbeiten der letzten Jahre hat sich Nowoitnick mit Mythen und Ikonen beschäftigt, die mehr oder weniger sinnstiftend unser Leben bestimmen. Zu ihnen, das wissen wir spätestens seit den Ausführungen des französischen Philosophen Roland Barthes, kann jeder Gegenstand in unserem Leben werden, wenn wir ihn entsprechend mit Bedeutung aufladen. Barthes wesentlicher Beitrag in seinem wichtigen Buch „Mythen des Alltags“ bestand darin, uns deutlich zu machen, dass es sich dabei stets um Konstruktionen handelt und Mythen und Ikonen nicht naturhaft über uns kommen.

Das weiß auch Inka Nowoitnick. Zugleich weiß sie aber auch, dass wir Menschen solche Sinnkonstruktionen zum Leben und Überleben brauchen. Entsprechend nachsichtig schaut sie auf die bunte Mythenpalette, von der wir umgeben sind und zu der vor allem die allgegenwärtige Werbung das ihrige beiträgt. Ihre Haltung dazu schwankt zwischen Zustimmung und Ironie.

Ihr elektrischer „Kerzen-Automat“ (2007) travestiert ein religiöses Ritual, bei dem wir Kerzen anzünden und Gott um Beistand bitten. Nowoitnick nennt ihn eine Wunschmaschine. Mit ihm geht sie seit 2010 in den öffentlichen Raum und stellt ihn in Banken, Bahnhöfen und Einkaufszentren auf, aber auch in Museen, Kinos und Bibliotheken. Seine Benutzer sind aufgefordert, per Knopfdruck für die Dauer von fünf Minuten eine Kerze zum Leuchten zu bringen und sich dabei etwas zu wünschen. Die Nähe des Kerzen-Automaten zur Kirche reanimiert in spielerischer Weise ein religiöses Gefühl, das mehr und mehr zu verschwinden droht, ohne strictu sensu einer bestimmten Religion das Wort zu reden.

„Heimliche Übernahme“ nennt Nowoitnick treffend ihre Intervention. Eine andere Form einer solchen Beschlagnahme finden wir in ihrer Malerei, z. B.  in der 4-teiligen Serie ihrer „Heiligenbilder“ (2006). Statt bekannter Figuren aus der religiösen Heils- und Heiligengeschichte setzt sie ornamentalisierte Bäume und Pflanzen ins Bild, durch deren Zweige und Blätter nach pantheistischer und naturreligiöser Vorstellung göttlicher Atem weht, wie erstarrt sie sich in Inka Nowoitnick Malerei auch zeigen mögen. In einem Gemälde lehnt ein kleiner, blühender Kaktus an einem mächtigen zylindrischen Rohr. In einem anderen Bild überragt ein turmhohes Haus ein schmächtiges Bäumchen.  Die Motive sind abstrahiert und stilisiert. Turm und Rohr wirken wie riesenhafte Altarkerzen, und die Landschaften sehen aus wie barocke Faltenwürfe. Als hätten die Skulpturen Giovanni Lorenzo Berninis Pate für sie gestanden.

Eine andere Form der Übernahme gilt dem Film und der Werbung, beide groß im Geschäft als moderne Mythenbildner. Inka Nowoitnick wendet sich in ihren Collagen aus den Serien „Cowboys“ (2006 und 2011) dem weiten Land von Marlboro County und dem Wildwestfilm zu. Einer ihrem Lieblingsfilme in diesem Genre ist „The Good, the Bad and the Ugly“ von Sergio Leone. Wenn sie in ihren Bildern die Rolle der Männer übernimmt und statt der harten und einsamen Marlboro Cowboys in die untergehende Sonne reitet oder statt Clint Eastwood, Lee Van Cleef und Eli Wallach aufs Pferd steigt, dann bricht sie nicht nur eine entscheidende Lanze für die Sache des Feminismus, sondern zeigt auch einmal mehr, wie wirkmächtig der Mythos in unser Leben greift. Dass dies auch in Zukunft so sein wird, macht das non finito ihrer Collagen unübersehbar deutlich.

Michael Stoeber aus: Salon Salder – Neue Kunst aus Niedersachsen 2013, ISBN 978-3-9816004-1-4, Hrsg. Stadt Salzgitter/Fachdienst Kultur

Schein und Sein

Die Künstlerin Inka Nowoitnick ist im diesjährigen Salon Salder mit zwei Arbeiten vertreten.
Inka Nowoitnick analysiert in ihren Werken den Gebrauch und die Platzierung von Heiligtümern und Ikonen in der Alltagskultur unserer Zeit. Sie verfolgt die christlich-religiösen Symbole und Rituale in der Gegenwart nach und findet deren Spuren in ihren eigenen Arbeiten, in den privaten Vitrinen wie auch im öffentlichen Raum wo besonders die Werbung ihre Produkte mit kirchlich-religiösen Assoziationen auflädt. Die Künstlerin interessiert sich besonders für den Aneignungsprozess. Was bleibt von den Inhalten übrig, wie werden die traditionellen Reize in neue Zusammenhänge übertragen und anerkannt?

Heimliche Übernahme
Die fahrbare Wunschmaschine ist ein vielschichtiges Objekt, an dem das künstlerische Konzept wie auch der Aneignungsprozess durch die Betrachter nachvollzogen werden kann. Sie ist eigentlich eine mobile Kultstätte ‚to go‘. Ein schlichter Holzaufbau mit künstlichen Kerzen, die auf Knopfdruck für fünf Minuten leuchten, steht auf einem fahrbaren, hellblau leuchtenden Quader, auf dessen Front rechts und links je eine Dickblattpflanze mit drei großen rosafarbenen Blüten zu sehen ist. Diese Blüten sind ein durchgehendes Motiv -ein branding- in den Arbeiten der Künstlerin.
Der schmucklose Holzaufbau mit den Kunststoffkerzen erinnert an das beliebte kirchliche Dank- und Gedenkritual des Kerze Anzündens und seine schlichte Form schafft eine würdige, authentische Atmosphäre, die den Betrachter ernst nimmt. Das Gebet wurde aber durch den Wunsch ersetzt, wodurch die Menschen der christlichen Sphäre den Rücken kehren und die Magie der Märchenwelt betreten. Das Ritual passt sich durch Knopfdruck effizient der modernen Welt an. Der Unterbau wirkt dagegen wie eine bunte Leuchtreklame und kann sich in der Konsumwelt behaupten. Die Maschine steht an jedem Ort glaubhaft, egal ob neben der Rolltreppe oder dem Fahrscheinautomaten. Durch ihre populären Standorte ist sie allen Menschen quer durch die Gesellschaft zugänglich gemacht worden. Die Maschine konnte unabhängig vom Glauben, Geschlecht, Vermögen und Alter genutzt werden. Manche empfanden sie nur als unterhaltsamen Gag, andere legten kleine Opfergaben ab oder knieten sogar kurz davor. Ein bisschen ernst gemeint war das Wünschen doch. Alle durften alles wünschen, egal ob Konsumartikel, Liebe oder Gesundheit. Gedenkrituale im Zeitalter der Beschleunigung – Wunsch und Ritual als kostenloses give-away im geschäftigen Alltag zwischen Supermarkt, Bahnsteig und Garderobe für jedermann. Oder deckte sie den Wunsch danach erst auf? Die Maschine bleibt an jedem Ort ein Kunstwerk. Die Blüten stehen im Werkzusammenhang der Künstlerin und sind ein wiedererkennbares Zeichen. Kunst trifft auf Marke und die ‚heimliche Übernahme‘, die im Titel angedeutet ist, konnte starten. Die künstlerische Welt der Inka Nowoitnick ist verlinkt mit der kommerziellen Produktwelt und bekommt auch im öffentlichen Raum eine Stimme im Diskurs um Deutungshoheiten und Weltanschauungen.

In 80 Tagen um die Welt
In der Filmarbeit tritt die Wunschmaschine eine fiktive Weltreise an. Nowoitnick montierte eine Abbildung der Maschine in Fotos hinein, die Freunde von ihren Reisen schickten und formulierte passende, fiktive Texte dazu. Fotografie und Film wurden traditionell für die Dokumentation eingesetzt und vermitteln immer den Eindruck einer Realität. Diese Technik kann aber auch glaubwürdige Fakes erstellen, wie in diesem Fall. Die bekannten Synchronsprecher Norbert Langer (Magnum u.a.) und Tilo Schmitz (Captain Utah, Ice Age 4 u.a.) hatten die Texte eingelesen und damit gesellte sich auch der Fernsehzuschauer zum Kunstbetrachter. Der Film vermischt verschiedene Erfahrungswelten, die auch mit unterschiedlichen Erwartungen verbunden sind. Eine Fernsehdokumentation hat den Nimbus eines informativen und authentischen Beitrags, dem der
Zuschauer vertrauen und von dem er lernen kann. Dieses Vertrauen wird hier geweckt und gleichzeitig in Frage gestellt, denn als Kunstwerk hinterfragt der Film die Realität. Mit einem Augenzwinkern schlägt es die Realität mit ihren eigenen Waffen. Sucht der Betrachter nach dem Wahrheitsgehalt, muss er sich von der Kunst fragen lassen, was er bereit ist zu glauben und für wahr zu halten. In der Kunst wie im alltäglichen Leben.

Pia Kranz aus: Civil Signs, Salon Salder – Neue Kunst aus Niedersachsen 2015, ISBN 978-3-9816004-4-5, Hrsg. Stadt Salzgitter/Fachdienst Kultur